Internationale Konferenz «Postfaktisches Erzählen?«
In journalistischen Diskursen, den sozialen Medien und der Populärkultur ist derzeit häufig von einem ‚postfaktischen Zeitalter‘ die Rede. Zugleich wächst die Sehnsucht nach neuen, ebenso glaubhaften wie visionären Narrativen, die wesentliche Grundlagen unseres sozialen, kulturellen und politischen Miteinanders in einer als krisenhaft empfundenen Umbruchsituation neu erzählen und die sich, so die Hoffnung, gegen die Lügengeschichten der Populisten durchsetzen können.
Dabei handelt es sich um ein transnationales Phänomen. Oxford Dictionaries wählte kürzlich den Begriff ‚Post-Truth‘ zum Wort des Jahres. Satiresendungen wie die US-amerikanische Daily Show schöpfen das komische Potenzial des ‚Postfaktischen‘ aus und inszenieren beispielsweise einen Trauergottesdienst für „Facts“, der die Verstorbenen ein letztes Mal feiert. Die Satire verweist auf ein gravierendes Problem: Der strategische Einsatz bewusster Falschaussagen wird in manchen Kontexten nicht mehr prinzipiell abgelehnt, – das Leugnen empirisch nachweisbarer Phänomene wie des Klimawandels erscheint ebenso unproblematisch wie das opportunistische, adressatenbezogene Ändern der eigenen Meinung, solange das Grundgerüst einer attraktiven und eingängigen Erzählung die jeweiligen Aussagen stützt. Vor diesem Hintergrund ist in jüngster Zeit eine öffentliche Debatte um die Bedeutung, die Funktion und den Nutzen des Konzepts des ‚postfaktischen Erzählens‘ selbst entstanden.
Ausgehend von der Prämisse, dass Erzählungen „beides, dem sozialen Wandel unterworfen und Medien seiner Gestaltung“ sind (A. Koschorke), will die inter- und transdisziplinäre Konferenz „Postfaktisches Erzählen?“ am Zentrum für Erzählforschung der Bergischen Universität einen grundlegenden Beitrag zu den aktuellen Diskussionen leisten. Unter Rückgriff auf Theorien, Erkenntnisse und Methoden der Erzählforschung soll das Verhältnis des ‚Post-Faktischen‘ zum Narrativen untersucht werden.Insbesondere wird eine Bestimmung der Kernbegriffe der Debatte angestrebt, darunter: ‚postfaktisch‘ und ‚post-truth‘, ‚fiktional‘ und ‚faktual‘, ‚Wirklichkeit‘ und ‚Wahrheit‘, ‘Ereignisse‘ und ‚Geschehen‘sowie ‚Erzählungen‘, `,Geschichten‘ und ‚Narrative‘. Ausgehend von der Analyse und Interpretation literarischer und nicht-literarischer Erzählungen sollen die Bedingungen untersucht werden, unter denen sich Narrative in verschiedenen historischen und kulturspezifischen Kontexten durchgesetzt haben und weiterhin durchsetzen.